Spätestens nachdem wir uns um organisatorische Aspekte unseres Mixes und wichtige Basics gekümmert haben, ist es an der Zeit, uns auf die Vocals zu fokussieren – in vielen Fällen das mit Abstand wichtigste Instrument in unserem Mix.
Die menschliche Stimme ist das komplexeste Instrument, mit dem wir arbeiten, und bevor wir zum eigentlichen Vocal-Mix kommen, beschäftigen wir uns mit den wichtigsten Teilaspekten.
EIN KURZER EXKURS INS THEMA VOCAL RECORDING
Als Mix Engineer reparieren wir sehr oft die Fehler, die bei einer schlechten Gesangsaufnahme gemacht wurden. Die Häufigsten sind:
1. ZU VIELE HÖHEN UND S-LAUTE
Der jeweils aktuell angesagte Vocal-Sound verändert sich häufig – Trends kommen und gehen. Seit vielen Jahren ist das Sony C800G Röhrenmikrofon im Profibereich sehr beliebt. Ohne Zweifel eines der besten Mikrofone, die jemals gebaut wurden, und gleichzeitig Auslöser eines Trends, der oft in exzessiven S-Lauten auf den Gesangsspuren resultiert.
Dabei ist ein Mikrofon, das Höhen betont NICHT das eigentliche Problem, sondern exzessive Höhen in S-Lauten, die direkt bei der Aufnahme durch einen unpassend eingestellten Kompressor gejagt werden.
Ich rate in den meisten Fällen davon ab, beim Vocalrecording einen Kompressor einzusetzen, wenn das Ziel ein Vocal-Sound mit „crispen“ Höhen ist.
Der Trend zu organischeren Sounds ist allerdings in vollem Gange, und mit einem organischeren Gesangs-Sound sind auch die übertriebenen Höhen auf den Vocals etwas zurückgegangen.
2. KEIN POP-SCHUTZ
Wenn bei der Gesangsaufnahme kein Pop-Schutz vor dem Gesangsmikrofon platziert ist, wird die Aufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Dropouts im Audio-Signal haben. Sehr schwer bis gar nicht zu reparieren.
3. AUFNAHMEN AUS DER GESANGSKABINE
Die meisten selbstgebastelten Gesangskabinen sind nicht in der Lage, breitbanding effektiv zu absorbieren, sodass lediglich die Höhen gedämpft werden – der Sound wird nicht nur dumpf und hohl, sondern auch voller Kammfiltereffekte, die wir in Form von unangenehmen Resonanzen in den Mitten hören.
Gesang klingt wesentlich besser, wenn er in einem größeren Raum aufgenommen wurde, und es ist im Vergleich einfacher, mit ein paar mehr Reflexionen aus einem größeren Raum umzugehen, als die äußerst unangenehmen Resonanzen entfernen zu müssen, die durch Kammfilter-Effekte entstehen.
4. KOMPRESSOR BEI DER GESANGSAUFNAHME
Der Einsatz eines Kompressors bei der Aufnahme ist eine überlieferte Gewohnheit aus den Zeiten der analogen Aufnahme, und heute nicht mehr notwendig. Nimm Dir reichlich Zeit, den Mikrofonvorverstärker und die Aufnahmepegel vorsichtig einzustellen, und achte auf ausreichend Headroom auch während der lautesten Stellen im Song. Alles andere entscheiden wir später.
TUNING
Das Stimmen von Gesang („Tuning“) ist technisch gesehen weniger Mixing als die Reparatur einer schlechten Performance, aber da es technisch möglich ist, gehört es natürlich zum Repertoire des Mix Engineers und lässt unsere Arbeit besser aussehen, wenn effektiv eingesetzt.
Wer es noch nicht ausprobiert hat, dem empfehle ich, die Response-Zeit des Tuning-Plugin zu automatisieren. Man kann dadurch einen bestimmten Ton stark korrigieren, ohne das der Übergang in das Tuning hörbar ist.
Bei der Verwendung von Tuning Plugins sollte man auf keinen Fall alle Dopplungen der Lead Vocals stimmen. Dies gilt auch bei Backing Vocals – wenn man zwei Dopplungen hat, sollte man nur eine mit Tuning versehen, und zwischen den Spuren mit Tuning eine leichte Verstimmung erzeugen, in dem man das linke Backing Vocal z.B. auf -5 cent feinstimmt, und das auf der rechten Seite auf +5 cent.
Der Grund dafür ist, dass Tuning Plugins so exakt arbeiten, daß Dopplungen sich stellenweise gegeneinander auslöschen (Phasing-Effekt). Dies hat zur Folge, daß es mit Dopplungen „dünner“ klingt als ohne. Bei allen Arten von Chören oder auch Instrumental-Ensembles ist ein gewisses Grad an Verstimmung bei den einzelnen Spuren sogar förderlich.
WIR BAUEN EINE SIGNALKETTE FÜR DIE LEAD VOCALS
Die folgenden Schritte erfordern eine sehr niedrige Abhörlautstärke. Ich erledige diese Schritte immer auf meinem kleinen Portable. Die Vocals sollten gerade laut genug sein, daß man die Lyrics versteht und der Melodie problemlos folgen kann.
Ich kann es nicht oft genug wiederholen – die einzelnen Blöcke einer Signalkette sind niemals „in Stein gemeißelt“. Du wirst zwischendurch immer wieder Feineinstellungen in der Kette vornehmen. Zum Beispiel müssen die S-Laute nochmal feinjustiert werden, wenn der finale „Attitude“-Kompressor in der Kette ist. Das gilt für jeden einzelnen Baustein der Kette.
Wichtig ist auch ein konsequentes Gain Staging innerhalb der Kette – das Signal sollte also am Eingang jedes Bausteins einen ähnlichen Pegel haben wie am Ausgang.
Die folgende Signalkette hat insgesamt 3 Dynamikprozessoren mit jeweils dazwischengeschalteten Equalisern – diese Bausteine teilen sich die insgesamt benötigten Bearbeitungen. Keiner dieser Bausteine ist extrem eingestellt, jeder übernimmt eine eigene Rolle, und beim Einstellen gilt immer „Weniger ist mehr“.
Den ein oder anderen Baustein auszuschalten ist auf jeden Fall eine Option – oft benötigt man sie nicht alle, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen.
1. KONTINUITÄT
An diesem Punkt arbeiten wir mit dem unbearbeiteten Vocal-Signal. Ich möchte trotzdem kurz über das Thema „Automation“ sprechen, denn wir werden auf den Lead Vocals zwei voneinander unabhängige Lautstärkeautomationen einsetzen: vor der Signalkette, und nach der Signalkette.
Die Automation vor der Signalkette korrigiert Ungleichmäßigkeiten in der Performance des Sängers. Wir stellen die Kontinuität der Pegel in der Performance her, wie wir sie uns idealerweise schon bei der Aufnahme gewünscht hätten. An diesem Punkt gibt es einen fast nahtlosen Übergang zur Vorbereitung der Mix-Session, und es ist durchaus möglich, dass der Produzent uns die Vocals schon so liefert, dass wir hier nichts machen brauchen.
Um dies zu überprüfen, lassen wir den Song von Anfang bis Ende laufen, und versuchen Phrasen oder Silben zu finden, die im Zusammenhang merklich unnatürlich herausspringen oder etwas untergehen. Korrigiere diese Phrasen oder Silben in ganzen dB-Werten – es geht also nicht darum komplexe Automationskurven zu zeichnen – dies ist nur ein kleiner Schritt, um den Lead Vocals über den Song hinweg eine natürliche Kontinuität zu geben. Eine natürliche Kontinuität verhindert auch, dass wir im weiteren Verlauf der Signalkette Kompressoren zur Korrektur von Lautstärken missbrauchen.
2. S-LAUTE
Sollten die nun immer noch unbearbeiteten Vocals zu unangenehmen S- oder „Zisch“-Lauten neigen, setzen wir an diesem Punkt einen De-Esser ein.
Ein De-Esser ist ein Kompressor, der auf das Entfernen von S-Lauten spezialisiert ist. Dies wird dadurch erreicht, dass die Kompression ausschliesslich von Signalen im Bereich 5-12kHz ausgelöst wird, technisch gesehen also entsprechende Filter in die sog. „Sidechain“ geschaltet sind.
Die Frequenz, die man reduzieren möchte, lässt sich genauso einstellen, wie der Pegel in dB, bei dem der Kompressor anfängt S-Laute zu reduzieren.
Es ist sinnvoll sich den exakten Frequenzbereich der S-Laute auf einem Analyzer anzusehen, und dann den De-Esser auf die entsprechende Frequenz einzustellen.
Eine andere Herangehensweise wäre, die S-Laute schon vor der Signalkette zu reduzieren, was mit etwas mehr Zeitaufwand verbunden ist, aber im Ergebnis exakter. In Logic Pro isoliere ich dazu die S-Laute in eigene Audio-Regionen, die ich auf eine eigene Spur ziehe, aber durch die gleiche Signalkette (Channel-Strip) laufen lasse.
Die Lautstärke dieser Audio-Regionen reduziere ich um 6-10dB, abhängig davon, wie stark die Lead Vocals im weiteren Verlauf der Signalkette noch komprimiert werden. Die Pegel der S-Laute sollten am Anfang der Signalkette niedrig genug sein, dass sie unterhalb des Schwellenwertes (= Threshold) der Kompressoren liegen.
Wenn also ein De-Esser in der Signalkette die S-Laute nicht präzise genug kontrollieren kann, ist diese Technik einzusetzen. Man kann natürlich auch noch weiter gehen und die S-Laute komplett auf einen anderen Channel Strip isolieren und mit einer ganz anderen Signalkette bearbeiten.
Ähnlich wie mit S-Lauten kann man auch mit Atemgeräuschen verfahren.
3. WÄRME
Zu diesem Zeitpunkt sollten die Lead Vocals tendenziell immer noch etwas zu leise im Gesamtzusammenhang sein – was uns im weiteren Verlauf hilft, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was noch fehlt. Wir überprüfen das, in dem wir mit Equalizern Frequenzen addieren und verschiedene Bereich ausprobieren, angefangen mit den unteren Mitten.
A. Eine breitbandige Anhebung zwischen 200 und 500 Hz.
Der Pultec MEQ 5, mit einer leichten Anhebung zwischen 200 – 500Hz, ist in der Regel mein erster EQ in der Plugin-Kette. Diese breit ausgelegte EQ-Kurve lässt sich übrigens auch mit vielen Standard DAW-EQs simulieren.
Ich gehe niemals tiefer als 200Hz, und hin- und wieder auch mal bis hoch zu 700Hz. Der gewünschte Effekt ist, dem Gesang mehr Wärme und Gewicht im Mix zu geben.
Bei einer guten Gesangsaufnahme sind diese Nuancen vielleicht auch schon bei der Aufnahme festgehalten wurden, dann erübrigt sich dieser Schritt. Um diesen warmen, wuchtigen, und doch seidigen Charakter zu bekommen, experimentieren viele Produzenten während der Gesangsaufnahme mit Neve 1073 Mic-Pre’s und diversem Röhren-Equipment (von Röhrenmikros, Röhrenvorverstärkern bis zu Röhrenkompressoren).
Allerdings klingen meiner Erfahrung nach die meisten modernen Gesangsaufnahmen eher höhenbetont und dünn, sodass ein kleiner Boost in den unteren Mitten fast nie schadet. Im Gegenteil, etwas übertreiben ist oft an dieser Stelle kein Problem, denn wir können ja im weiteren Verlauf der Plugin-Kette gegensteuern, zum Beispiel mit einer sanften Röhrenkompression (mir würden dazu Fairchild und Summit TLA-100A einfallen).
Sollte der unbearbeitete Gesang von vornherein „muddy“ oder „boomy“ wirken, dann empfehle ich, zu überprüfen, ob dies von spezifischen Resonanzfrequenzen verursacht wird. Mit einem Linear Phase EQ zu Beginn der Plugin-Kette lassen sich diese leicht lokalisieren und schmalbandig absenken. Diese unangenehmen Resonanzen in den tiefen Mitten werden oft von „tot“ klingenden kleinen Gesangskabinen verursacht, welche tiefe Frequenzen nicht ausreichend absorbieren können.
Nachdem man diese Resonanzen entfernt hat, ist dann auch wieder genug Platz in den unteren Mitten, um den besprochenen Pultec-boost anzuwenden.
B. Ein Röhrenkompressor zur Obertonanreicherung
Nach der Anhebung in den unteren Mitten setzen wir einen Röhrenkompressor ein, der den warmen Charakter noch weiter betont. Es geht in diesem Schritt überhaupt nicht um den Einsatz von Kompression als Pegelkorrektur, sondern wir nutzen den Kompressor, um das Signal mit Obertönen überhalb der zuvor erzeugten EQ-Anhebung anzureichern. Auch ohne dass der Kompressor Pegel reduziert, trägt er durch die addierten Obertöne dazu bei, dass das Signal kompakter und runder wirkt.
Der klassische Fairchild 660/670 funktioniert an dieser Stelle hervorragend, aber hier wie an anderer Stelle ist auch Deine Kreativität gefragt. Leichte Bandsättigung klingt an dieser Stelle auch sehr gut – wichtig ist, dass an dieser Stelle auf keinen Fall eine deutliche Pegel-Komprimierung hörbar ist.
4. PRÄSENZ
In einem dichten Mix müssen wir bei den Lead Vocals Mittenfrequenzen betonen, die dafür sorgen, dass der Gesang sich gegenüber dem Rest der Instrumente durchsetzt. Die klassischen SSL EQs sind die perfekte Wahl für diese Aufgabe. Bevor wir austesten, wie viel Mitten-Boost der Gesang verträgt, fügen wir einen Kompressor in die Signalkette ein, der nach dem Mitten-Boost folgt. Danach können wir extreme Einstellungen testen, da der Kompressor bei extremen Peaks gegensteuert. Der Boost wirkt dadurch weniger harsch.
In weniger dichten Parts des Songs ist oft weniger, oder gar keine Mittenanhebung notwendig, aber wenn die Vocals gegen einen „Wall of Sound“ antreten, wird es knifflig, und mit einer einzelnen Mittenanhebung ist es auch nicht getan, sondern eine mehr oder wenig musikalisch/harmonisch aufgebaute Textur von Mittenanhebungen ist notwendig, damit das ganze musikalisch wirkt.
Also nicht ganz so einfach wie das EQing mit dem Pultec…
A. Mehrere Anhebungen zwischen 1k und 8k (SSL EQ)
Den Anfang macht ein SSL E-Series EQ, bei dem wir das Frequenzband für die Höhen bei 8kHz +10dB anheben, dann auf 0dB zurückgehen, und irgendwo dazwischen eine Einstellung finden, die funktioniert, Wir testen, ob BELL oder SHELF-Charakteristik besser funktioniert – BELL hebt nur die Frequenzen um 8kHz an, während SHELF (= BELL-Schalter deaktiviert) auch alle Frequenzen oberhalb von 8kHz anhebt. Sollte 8kHz die S-Laute zu stark betonen, gehen wir mit der Frequenz etwas tiefer.
Im nächsten Schritt heben wir das obere Mittenband (HMF) bei 4kHz an, und dann das unter Mittenband bei 2kHz. Wir spielen mit den Frequenzen und dem Q-Factor, bis die verschiedenen Mittenanhebungen in einer harmonischen Balance zueinander stehen – immer mit der Option, weniger oder gar nichts anzuheben.
Das Ziel ist ein Cluster von Mittenanhebungen, die eine musikalische Textur von Frequenzen zwischen 1k und 8k bilden.
Chris Lord-Alge ist ein Meister dieser EQ-Techniken, und wer seine „CLA“-Presets für den Waves SSL Channel aufmerksam studiert, insbesondere das „Rock Vocal“-Preset, der kann zu diesem Thema eine Menge lernen. Auch bei den CLA-Sounds ist es sehr typisch, dass der Kompressor HINTER die EQ-Anhebung geschaltet wird, um die aggressiven Mitten etwas zu glätten.
Mit den mitgelieferten EQ-Plugins der meisten DAWs lassen sich diese Ergebnisse größtenteils auch simulieren, wobei es natürlich einen Grund gibt, warum die SSL EQs so populär sind. Die Hardware-Originale von SSL sind dabei auch immer noch ein Stück aggressiver als die Plugin-Emulationen.
Mit API und Neve EQs lassen sich ähnliche Ergebnisse erzielen, die einen eigenen klanglichen Charakter haben. Ein Pultec ist für diese Zwecke nicht geeignet.
B. Kompression
Dieser Kompressor arbeitet Hand in Hand mit der gerade erzeugten Mittenanhebung und soll diese leicht entschärfen. Wir brauchen einen Kompressor, der ein paar dB reduzieren kann, ohne dass die Natürlichkeit und Musikalität des Signals darunter leidet.
Mein persönlicher Favorit an dieser Position ist der Gates oder Retro Sta-Level, aber auch ein LA-3A gefällt mir sehr gut. Der LA-2A oder Summit TL-100A kann hier ebenfalls hervorragend funktionieren, und es gibt ganz bestimmt noch weitere Kandidaten, aber durch die vorgenannten ist der Charakter schon mal eingekreist.
Der Sta-Level kann unglaubliche Mengen an Pegel reduzieren, ohne dass merkliche Nebeneffekte wie Pumpen, Popp- oder Klick-Laute dabei auftreten. Wenn Du Dir nicht sicher bist, wie stark die Kompression sein soll, gilt hier wie überall die Regel, dass weniger = mehr ist.
Die Qualität des verwendeten Kompressors hat an dieser Stelle einen großen Einfluss darauf, wie weit man mit der Lead Vocal-Bearbeitung gehen kann. Im Allgemeinen gebe ich gerne Budget-Empfehlungen, aber es gibt Situationen, wo High-End Equipment tatsächlich einen entscheidenden Vorsprung garantiert. Das ist ähnlich wie bei Equipment im Bereich Fotografie und Video. Mit hochwertigem Equipment bekommt so manche mittelmäßige Aufnahme plötzlich eine hochwertige, künstlerische Note.
Das Ziel dieser Kompressor-Stufe ist es, eine natürliche Balance zu schaffen zwischen Wärme und Präsenz, also den beiden Aspekten, die wir in Schritt 3 und 4 der Signalkette herausgearbeitet haben.
5. ATTITÜDE
Wenn die Signalkette ein Kochtopf wäre, dann ist „Attitüde“ die Stufe, wo das Signal kurz davor ist, anzubrennen. Diese Stufe wird nicht immer benötigt, ist also als „optional“ einzustufen.
Eine der vielen erhältlichen Varianten des 1176 Kompressosr funktioniert an dieser Stelle am Besten, insbesondere wenn die Lead Vocals sich in einem dichten oder aggressiv klingendem Instrumental durchsetzen müssen. Ein 1176 „Blue Stripe“ erzeugt etwas mehr Obertöne und Verzerrungen, ein 1176 „Black Face“ klingt etwas sauberer. Es gibt eine fast endlose Anzahl an Interpretationen des klassischen 1176 Kompressors, und Du kannst an dieser Stelle alle auszuprobieren, die Du zur Verfügung hast.
6. FINALE KONTROLLE ÜBER TON UND DYNAMIK
A. EQ
Ein Pultec EQP-1a kann als letztes Plugin auf den Vocals die Höhen und Bässe sehr subtil abrunden. Mit einem Boost bei 20Hz, und einer Absenkung bei 20kHz klingen Vocals für mein Empfinden analoger – insbesondere die Absenkung der Höhen erinnert an die Charakteristik von analogen Bandmaschinen.
Keiner der beiden Eingriffe sollte in die tonale Essenz der Vocals eingreifen, es geht hier um Feinheiten. Der Boost bei 20Hz gibt nochmal einen Tick mehr Gewicht, und der Höhen-Cut reduziert Frequenzen die bei hohen Lautstärken unangenehm werden.
B. Brickwall Limiter
Wenn man in Stufe 5 einen 1176 Kompressor einsetzt, fügt dieser oft eine Mischung von Transienten und Obertönen hinzu, die das Signal zwar sehr lebendig machen, aber als Pegelspitzen sichtbar sind. Ein Limiter, der diese etwas abfängt, hält den Pegel überschaubar. Es geht hier wirklich nur um vereinzelte Pegelspitzen, und die Abklingzeit des Kompressors sollte über 100ms liegen. Ein moderner Brickwall Limiter funktioniert hier sehr gut.
PARALLELKOMPRESSION
Mit Parallelkompression beschäftigen wir uns an anderer Stelle sehr ausführlich, aber auch hier möchte ich darauf kurz eingehen – wenn Du etwas Routine mit der oben skizzierten Signalkette bekommen hast, ist Parallelkompression der nächste logische Schritt.
Bei den meisten Songs, die einen gewissen dynamischen Verlauf haben, insbesondere natürlich Balladen, die sanft beginnen und in einem großen „Showdown“, Pauken und Trompeten enden, habe ich die folgenden Erfahrungen gesammelt:
• Die Signalkette für die erste (sanfte) Strophe ist schnell gefunden. Meist besteht das Arrangement hier nur aus dem Sänger und einem Piano, vielleicht noch leichte Drums dazu. Ein natürlicher Vocal-Sound, der sich 3B und 6A bedient funktioniert oft sehr gut.
• Sobald der Song sich etwas steigert, und der Sänger höhere und lautere Töne singt, muss ich weitere Elemente aus der Signalkette hinzufügen, um die Dynamik unter Kontrolle zu bringen, und auch um Resonanzen zu zähmen, die laute und hohe Gesangsnoten mit sich bringen.
• Im Chorus, insbesondere gegen Ende des Songs, müssen sich die Vocals gegen einen „Wall of Sound“ durchsetzen, und die verschiedenen Kompressoren in der Signalkette kommen alle zum Einsatz.
• Die Lösung für dieses Dilemma ist ganz einfach – wir arbeiten mit zwei völlig unterschiedlichen Signalketten: eine sehr natürliche, und eine, bei der alle Prozessoren im Einsatz sind.
• In dem wir die Lautstärke-Balance der beiden Signalketten für jeden Abschnitt des Songs separat programmieren (mit Hilfe von Automation), können wir stufenlos für jeden Song-Part die richtige Balance aus Natürlichkeit und Durchsetzungskraft einstellen.
• Diese Technik ist auch die Lösung für Abschnitte wo der Sänger in kurzer Abfolge zwischen Falsett, Schreien, Flüstern, etc. wechselt – unter Umständen brauchen wir dann für jeden Gesangsstil eine eigene Anpassung der Signalkette, aber wir werden immer eine Balance zwischen den verschiedenen Signalketten finden, die funktioniert.
LEAD VOCALS GEGEN DEN REST DER WELT
Ich habe schon an Songs gearbeitet, wo der Backing Track so unglaublich groß und dicht klang, dass selbst bei extremer Bearbeitung die Lead Vocals sich nicht deutlich genug gegen die Instrumente durchgesetzt haben.
Für diese Fall habe ich zwei spezielle Geheimwaffen:
1. Der Retro StaLevel Kompressor – diese Info ist unter Umständen nicht von großem Nutzen für Dich, weil es leider noch kein Plugin-Hersteller geschafft hat, eine brauchbare Software-Version diese Kompressors auf den Markt zu bringen.
Wer dennoch die Gelegenheit hat, diesen Kompressor einzusetzen, sollte den „Triple Mode“ in Verbindung mit einer mittleren bis schnellen „Time Constant“ testen – mein absoluter Lieblingskompressor für Lead Vocals in einem dichten Mix. Der Sta-Level ist auch für viele andere Signale ein sehr schöner Kompressor, besonders erstaunlich finde ich, dass man mit dem Sta-Level bis zu 30dB komprimieren kann, ohne dass dabei die Integrität und Natürlichkeit des Signals leidet.
2. Multiband Sidechaining – es gibt eine Reihe von Kompressor-Plugins, mit denen man diese Technik umsetzten kann, der bekannteste davon ist der Waves C6 Sidechain.
Im ersten Schritt prüfst Du wo Deine Lead Vocals die meiste Energie in den Mitten haben, dieser Punkt liegt irgendwo zwischen 1k und 5k. Diese Frequenz ist einfach zu finden, in dem man mit einer EQ-Anhebung durch das Mittenband fährt.
Die Vocals senden per Aux Send ein Sidechain-Signal an den Multiband Compressor/EQ, und den stellt man so ein, dass das gesidechainte Signal bei der entsprechenden Mittenfrequenzen absenkt, wann immer die Vocals einsetzen.
Typische Kandidaten für den Multiband Compressor/EQ sind Gitarren, Piano und Keyboard-Pads, bei Bedarf auch eine Subgruppe aller Instrumente ohne Drums.
BACKING VOCALS – BITTE ALLE DEN GLEICHEN SONG SINGEN!
Backing Vocals sind in der Bearbeitung viel einfacher als Lead Vocals – in der Regel werden sie in Gruppen von mindestens 3 oder mehr Gesangsspuren geliefert, und sie sollten im Timing exakt hinter bzw. unter den Lead Vocals sitzen.
Während wir bei Lead Vocals versuchen, eine lebendige Dynamik und natürliche Transienten zu erhalten, können Backing Vocals im Vergleich erheblich drastischer bearbeitet werden. Bei Bedarf kann man sogar mehrere Backing Vocals zu einer Spur zusammenfassen.
Ja es stimmt – es gibt ein paar Plugins, die versprechen, das Timing von Backing Vocals mit den Lead Vocals anzugleichen. Ich war diesen Tools gegenüber lange sehr skeptisch, und empfehle auch bei Einsatz eines solchen Plugins immer die Wellenformen der zahlreichen Backing Vocals optisch auf exaktes Timing zu überprüfen.
• S-Laute müssen über die verschiedenen Backing Vocal-Spuren hinweg immer präzise an der gleichen Stelle sitzen – wenn nicht, springen sie rechts und links aus dem Mix heraus wie die Giftschlangen in meinem Lieblingsfilm „Snakes on a Plane“; zusätzlich müssen die Pegel der S-Laute deutlich reduziert werden, damit sie die Lead Vocals nicht stören!
• Atemgeräusche auf Backing Vocals? Ziemlich nutzlos! Das Atmen der Lead Vocals mag ja ein Erlebnis sein – aber niemand möchte 20 Sänger atmen hören! Weg damit!
EINE SIGNALKETTE FÜR DIE BACKING VOCALS
Backing Vocals verzeihen so einiges, wenn es um Nachbearbeitung geht. Um einen Startpunkt zu haben, kopiere ich in der Regel die Plugin Kette meiner Lead-Vocals auf die Backing Vocals, und passe sie dann in den folgenden Parametern an:
1. KONTINUITÄT
Genauso wichtig wie bei den Lead Vocals!
2. S-LAUTE
Auf jeden Fall einen De-Esser einsetzen – Backing Vocals sollten deutlich weniger „Zischen“ als die Lead Vocals.
3. WÄRME
A. Die Pultec-Anhebung in den unteren Mitten
Die Anhebung sollte auf einer anderen Frequenz liegen als bei den Lead Vocals – wenn die Lead Vocals bei 300Hz angehoben wurden, probiere es mal mit 200Hz oder 500Hz. Wenn Du diverse Backing Vocals oder Lead Vocal-Dopplungen hast, booste jede bei einer anderen Frequenz, damit sich keine Resonanzen addieren, sondern die verschiedenen Akzente sich zu einer homogenen Textur addieren.
B. Röhrenkompressor
Ähnlich wie bei den Lead Vocals, aber mit mehr Pegelreduktion
4. PRÄSENZ
Hier arbeiten wir entgegengesetzt zu den Anhebungen bei den Lead Vocals. Reduziere die Frequenzen, welche bei den Lead Vocals angehoben wurden. Die nachfolgende Kompression bleibt gleich.
5. ATTITÜDE
Dieser Block ist nicht in Verwendung auf den Backing Vocals -> BYPASS !!!
6. FINALE KONTROLLE ÜBER TON UND DYNAMIK
A. EQ
Die Absenkung der Höhen sollte extremer sein als bei den Lead Vocals, damit die Backing Vocals hinter den Lead Vocals sitzen. Als Akzent kannst Du versuchen, je nach Genre bei 12kHz oder 16kHz einen Glanzpunkt auf den Backing Vocals zu setzen.
B. Brickwall Limiter
Hier ist mehr Limiting erlaubt als auf den Lead Vocals.
Soviel zum Thema. Wem dieser Artikel gefallen hat, der sollte mal ins Inhaltsverzeichnis des Bestsellers YOUR MIX SUCKS reinschauen. Das eBook ist auch in deutscher Sprache erhältlich.