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Der folgende Artikel ist eine Vorab-Version zum Thema Parallelkompression, aus dem Bestseller-eBook YOUR MIX SUCKS, welches nun auch in deutscher Sprache erschienen ist.
Bei dem ein oder anderen Mix kann man sich schon wirklich fragen: “Wie haben die das gemacht? Die Vocals stehen ganz weit vorne, sind durchsetzungsfähig, haben eine enorme Ausstrahlung und klingen dabei immer noch natürlich und dynamisch.”
Das Geheimnis dahinter heißt sehr oft “Parallelkompression”.
Philosophisch betrachtet werden eine Reihe von spezialisierten Techniken kombiniert, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen – ähnlich wie bei einem brandneuen S 600 Mercedes, der eine endlose Liste der neuesten Technologien verwendet, die einem aber beim Fahren nicht bewusst werden. Man weiß nur: Das Ding ist schnell wie ein Ferrari, elegant wie ein Rolls-Royce, komfortabel wie ein Sofa, und so sicher wie Fort Knox. Man sitzt drin und wundert sich einfach nur.
Im Grunde genommen ist die Sache ganz einfach – nehmen wir mal eine Lead Vocal-Spur als Beispiel…
01. Man dupliziert die Original Lead Vocal-Spur, sodass sie gleichzeitig auf zwei Audiokanälen abgespielt wird.
02. Die Originalversion bleibt unbearbeitet (= keine Plugins), das Duplikat hingegen wird extrem komprimiert und mit einer übertriebenen Mittenanhebung versehen (nur mal so als Beispiel – alles ist erlaubt). Während wir das Duplikat bearbeiten, schalten wir das Original aus, und kennen keine Gnade – die Bearbeitung kann ruhig extrem ausfallen, bis über den Punkt hinaus, wo das Signal für sich genommen in einem Mix noch verwendbar wäre.
03. Wir drehen das Duplikat erst komplett weg und mischen es dann langsam zur Originalspur dazu. Das Duplikat wird sehr vorsichtig eingesetzt, so wie ein Koch mit Gewürzen, Salz und Pfeffer umgeht – es geht darum das Originalsignal subtil in eine bestimmte Richtung zu pushen, ohne dass wir ihm seine Natürlichkeit und Dynamik nehmen.
Das ist wirklich nicht kompliziert, oder?
Herzlichen Glückwunsch, Du hast gerade Deinen Freischwimmer in Parallelkompression bestanden!
Bei Apple heisst es entsprechend “Plug-in Latenz Kompensierung” und es kann aus drei verschiedenen Einstellungen gewählt werden:
• Aus (keine Kompensierung)
• Spuren für Audio- und Software-Instrument (werden kompensiert, nicht jedoch Aux-Spuren oder Output-Objekte)
• Alle (kompensiert sämtliche Arten von Audio-Spuren)
Die mittlere Einstellung (Spuren für Audio- und Software-Instrument) verwende ich in der Regel zum Arrangieren und Produzieren, und wenn ich mische, schalte ich auf „Alle“ um. Die Software übernimmt dann die perfekte Korrektur von Plugin-Latenzen bei ALLEN Arten von Spuren, Software Instrumenten, Aux Bussen und Ausgängen. Was gleichzeitig ermöglicht, daß ich einen Aux-Send verwenden kann, um mein Signal an einen weiteren Audiokanal zu senden, und das Signal entsprechend dem Duplikat in unserem Beispiel bearbeiten kann. Das ist von der Arbeitsweise her dann fast identisch wie bei einem Analog-Pult.
Ein analoges Pult beherrscht all dies natürlich ohne dabei jegliche Latenzen kompensieren zu müssen, was heisst, daß man Parallelkompression auch bei einer Live-Aufführung verwenden kann.
Um wirklich sicher zu gehen, daß das alles in Deinem DAW-Programm läuft, kannst Du einen kleinen Test machen: öffne ein paar EQ-Plugins in einem duplizierten Kanal (wobei die EQs „flache Einstellungen“ haben sollten), und kehre die Phase bei einer der beiden Spuren um – im Bild unten verwende ich das „Gain“-plugin von Logic Pro.
Wie im Beispiel zu sehen, sollte das Ergebnis von zwei gleichzeitig mit dem gleichen Pegel abgespielten Signalen vollkommene Still sein, da bei einem Signal ja die Phase umgekehrt wurde, und sich die beiden Signale idealerweise gegenseitig auslöschen.
PARALLELKOMPRESSION – DIE PHILOSOPHIE
Parallelkompression ist die Lösung zu einem Problem, daß mich persönlich beschäftigt hat, seitdem ich in den 80er Jahren das erste Mal einen Kompressor verwendet habe (ein einfacher dbx 163X war das damals):
1. Bei extremer Kompression hatte das Signal viel Punch und Attitude, und einen durchsetzungsfähigen Ton, aber gleichzeitig war es doch unbenutzbar, denn es klang trotzdem sehr bearbeitet und manipuliert.
2. Ohne Kompression klang das Signal zwar sauber und natürlich, aber wirkte etwas langweilig und kraftlos.
Parellelkompression nimmt einem die Entscheidung zwischen den zwei unbrauchbaren Extremen ab – durch die Trennung von unbearbeiteten und komprimierten Signalanteilen ist das Audiomaterial viel einfacher zu verwalten. Ein Prinzip, daß wir bei der Trennung von trockenen Signalen und Hallanteilen schon lange verinnerlicht haben, und daher mit Aux-Sends arbeiten bei Raumanteilen, Hall und Echos. Das macht uns wesentlich experimentierfreudiger und kommt der Qualität unserer Mischung zu gute – man experimentiert nicht mit dem Original, sondern mit einer Kopie. Wenn die Bearbeitung nicht funktioniert – egal! Das Original ist ja immer noch da. Letztlich auch ein psychologischer Trick, aber mit fundiertem technischem Hintergrund.
Dennoch besteht natürlich immer die Gefahr, das man es übertreibt – wer sich gerade einen Hammer gekauft hat, sieht plötzlich überall Nägel 😉
Parallelkompression ist nicht die eierlegende Wollmichsau für den Mix – bei manchen Instrumenten ist es durchaus sinnvoll, wenn die Transienten durch Kompressoren oder Limiter zurückgefahren werden. In einer Mischung sollten nicht zu viele Instrumente mit auffälligen Transienten miteinander konkurrieren. Typische Beispiele sind Backing Vocals, gedoppelte Lead Vocals, Keyboard Pads und verzerrte Gitarren – alles Material, bei dem die Transienten sehr gut kontrolliert sein müssen.
Ein guter Mix zeichnet sich durch eine hohe Ausgewogenheit zwischen Signalen mit und ohne auffällige Transienten aus. Die typischen Beispiele für Signale, bei denen beides wichtig ist, sind Lead Vocals und Drums.
PARALLELKOMPRESSION UND LEAD VOCALS
Beim ersten Beispiel am Anfang des Artikels, habe ich das Originalsignal komplett unbearbeitet gelassen. Das war natürlich ein extremes Beispiel, um das Prinzip Parallelkompression besser zu illustrieren. Während es durchaus sinnvoll ist, beim Original-Signal völlig auf jegliche Kompression zu verzichten, sollte man unabhängig davon sichergehen, daß die Performance in Sachen Lautstärke eine gute Kontinuität besitzt. Parallelkompression ist nicht dazu da Fehler zu kompensieren, oder Lautstärke-Unterschiede in der Performance auszugleichen. Grobe Automation ist sinnvoll und daher die richtige Wahl für solche Fälle, und auch auf „chirurgische“ EQ- und Filter-Eingriffe wie das Entfernen von Raumresonanzen, den obligatorisch Filter für Trittschall sowie einen De-Esser sollte man nicht verzichten.
Gerade bei Lead Vocals kann man durchaus mehrere parallele Signalketten bauen, die jeweils unterschiedliche ästhetische Zwecke verfolgen, und im Mix dann für jeden Part im Detail eine eigene Balance herstellen.
Hier ein paar Ideen zu diesem Thema:
Lead Vocal A
Ungefärbt, natürlich und dynamisch
Lead Vocal B
Extrem gefärbt, mit Röhrensaturierung oder Verzerrung
Lead Vocal C
Durch einen Gitarrenverstärker bzw. Amp Plugin mit Verzerrung
Lead Vocal D
Atemgeräusche, separiert vom Rest der Vocals, und relativ unbearbeitet und natürlich
Lead Vocal E
eine separate Signalkette für das Signal, das an Echos und Hallgeräte gesendet wird
Echos und Hallräume sind für mich das Equivalent von verschwommenen Schatten bei Fotos – daher empfehle ich, für diese Effekt-Sends eine eigene Spur zu erstellen, die in Sachen Ton und Dynamik in starkem Kontrast zum direkten Lead Vocal-Signal steht.
PARALLELKOMPRESSION UND DRUMS
in meinem Artikel über das Mischen von Kick Drums bin ich ja schon ausführlich auf Drum-Bearbeitung eingegangen – hier nochmal ein paar Ideen in Kurzform:
• erstelle ein Duplikat, dass ausschliesslich die Transienten betont
• separiere ein Drum-Instrument in verschiedene Frequenzbereiche
• ein eigenes Duplikat für das Hinzügen von Obertönen (auch dazu gibt’s einen eigenen Artikel)
Sende die komplette Drum-Subgruppe an eine Parallelkompressions-Kette. Die Drums können dadurch nochmal mehr Stabilität und Punch bekommen, gleichzeitig bleiben die Transienten vollständig erhalten.
Mein Startpunkt auf der SSL-Konsole hat insgesamt vier voneinander unabhängige Parallelkompressoren, auf die ich über Aux-Sends zugreifen kann – dazu verwende ich die „Small Fader“ auf dem SSL, die auf die Routing Matrix zugreifen können und dadurch zu Aux Sends werden. Eine Methode, die sich problemlos auf modernen DAWs umsetzen lässt.
• 1 Parallelkompressor für die Kick
• 1 Parallelkompressor für die Snare
• 1 Stereopaar Parallelkompressoren für Overheads und/oder Raummikros
Zum Thema Kompression gibt es noch einen weiteren Artikel, der sich mit Kompression und Obertönen beschäftigt, und wem dieser Artikel gefallen hat, der sollte mal ins Inhaltsverzeichnis des Bestsellers YOUR MIX SUCKS reinschauen. Das eBook ist jetzt auch in deutscher Sprache erhältlich.