DIREKT ZU: YOUR MIX SUCKS • MIX TEMPLE PRO • MASTER FEEDBACK • MIX COACHING
Der folgende Artikel ist eine Vorab-Version zum Thema Gain Staging, aus dem Bestseller-eBook YOUR MIX SUCKS, welches nun auch in deutscher Sprache erschienen ist.
Beim Mixen geht es vielen Leuten wie mit Ihrem Bankkonto – ständig im roten Bereich!
Und auch in unseren modernen DAW-Programmen bedeutet “Rot” nichts gutes – es bedeutet ganz einfach, daß Du Deine Verfügbaren Dezibels an Dynamik verbraucht hast – kein Kredit mehr!
Der Begriff “Gain Staging” steht für die Strategie, wie wir die verfügbare Dynamik unserer Aufnahmetechnik verwalten. Wenn man überhaupt eine Strategie hat… wie auf Deinem Bankkonto sollte auch in Deiner DAW-Software genügend “Luft” sein für unerwartete Ereignisse.
Zum Beispiel, wenn die Drums irgendwie im Mix verschwinden, und die Band (der Producer, der Künstler, das Label, …) möchte die Drums “gaaaanz weit vorne” haben.
Also fange ich an die Drums lauter zu machen, und wenn sie endlich laut genug sind, und ich die Drums +6 dB im Mix angehoben habe, bin ich auf meiner Stereosumme im roten Bereich!
Aber eins nach dem anderen – erstmal etwas Geschichte und Theorie. Und dann reden wir über eine Strategie, die das Problem ein für alle mal lösen wird.
Kurz bevor Digital Audio als Aufnahmemedium zum Standard wurde, haben die Hersteller der ersten DAW-Programme in den 1990ern einen historischen Fehler begangen: beim Beschriften der digitalen Aussteuerungsanzeigen gab es keinen “Warnbereich” bis 0dB, so daß man nicht wirklich wusste, wie nah man an potentiellen Verzerrungen ist – bis es zu spät war.
Während 0dBVU bei analogen Geräten ein Referenzpunkt für einen “gesunden” Pegel ist, war 0dBFS (FS steht für “Full Scale”, also Maximalpegel) schon der Punkt, an denen digitale Übersteuerungen hörbar waren.
Die digitalen Mehrspur-Bandmaschinen von Sony und Studer nach dem “DASH”-Standard haben das besser gelöst (siehe Titelbild oben). Diese Maschinen kosteten etwa soviel wie eine Eigentumswohnung, und waren der Profi-Studiostandard, bis die DAW-Pogramme sich durchgesetzt haben.
Einige Jahre später – etwa zwischen 1991 und 1998 – hat sich Digidesign ProTools als professioneller Studio-Standard durchgesetzt, und andere folgten nach, wie Cubase und Logic, die als MIDI-Sequenzer eingeführt worden waren, und später zu DAWs wurden.
All diese Hersteller hätten (Hätte, hätte – Fahradkette.) von Anfang an alle Pegel über ca. -18 / -15 dB als “gelben Bereich”, und über -8 / – 5 dB als “roten Bereich” auszeichnen sollen, und gleichzeitig -18dB als 0dbVU markieren, weil dies genau den analogen Pegel nach D/A-Wandlung darstellt.
Durch das Gleichsetzen vom “roten Bereich” und der Grenze von 0dBFS (also digitaler Maximalpegel) haben DAW-Hersteller einen historischen Fehler begangen, der die Audio-Qualität bis heute beeinflusst.
Bevor Digital Audio auf den Markt kam, hat man beim Aussteuern von analogen Bandmaschinen in der Regel nicht viel “Headroom” (= verfügbare Dezibel bis Übersteuerung) gelassen, denn bei zu niedrigen Pegeln wurde analoges Rauschen hörbar, und die Nebeneffekte von Übersteuerungen waren nicht so drastisch. Im Gegenteil, in vielen Musikgenres waren diese sogar ein gewünschter Nebeneffekt – ich rede von Bandkompression, das Reduzieren von harten Transienten, zusätzliche Obertöne.
Die erste Generation digitaler Aufnahmegeräte und DAWs hatte 16bit Auflösung (theoretisch 96dB Dynamik), und für viele Anwender war hohes Aussteuern gleichbedeutend mit dem Ausreizen der maximalen Dynamik. Sie hatten natürlich ein bisschen Recht mit dieser Annahme, denn die Kombination von 16bit Auflösung und den ersten Generationen von D/A-Wandlern führte zu einer Dynamik von kaum 90dB, im besten Fall.
Spätestens im Jahr 2000 jedoch waren alle DAWs bei einer internen Auflösung von 24bit und höher angelangt, was bedeutet, daß wir mit 144dB Dynamik arbeiten können! Doch noch immer hängen viele Anwender an alten Gewohnheiten, und wollen stets alles maximal Aussteuern.
144dB übersteigt natürlich die Dynamik dessen, was analoge Systeme darstellen können. Selbst die besten Bauteile (z.B. Operationsverstärker) die in AD/DA-Wandlern verwendet werden erreichen allerhöchstens 125dB Dynamik (z.B. der LME49720), so daß wir fast beliebig mit Headroom planen können, und die Audioqualität davon völlig unbeeinflusst bleibt.
Also kommen wir nun zur Sache – dies sind die konkreten Schritte, die zu tun sind!
PHASE 1 – AUFNAHME
Bei der Aufnahme von Gesang oder Instrumenten sollte der Durchschnittspegel bei -15dB bis -18dB liegen, und die Spitzenwerte (Peaks) nicht höher als -8dB bis -5dB.
PHASE 2 – DIE INDIVIDUELLEN SPUREN
Die meisten Einzelspuren, die mir zum Abmischen zugeschickt werden, sind zu laut. Würde ich alle Files summieren, wäre ich mindestens 6dB im (digitalen) roten Bereich. Diese Übersteuerungen kompensiere ich NIEMALS in meiner Stereosumme, oder der Mastersumme!
Die individuellen Spuren sollten, wenn der Fader bei 0dB steht (also der Pegel unverändert bleibt), einen Headroom von 12 bis 18dB haben. Ich empfehle ein einfaches “Gain”-Plugin im zweiten Slot der Plugin-Kette (den ersten Slot immer frei lassen!). Da die meisten Produzenten mir Ihre individuellen Spuren viel zu laut schicken, mit Spitzenpegeln nahe an der 0dB-Grenze, reduziere ich den Pegel mit dem Gain-Plugin meist um 15dB (also steht der Gainer bei -15dB). Das garantiert reichlich Headroom in meiner Stereosumme, auch wenn ich viele Signale zusammenfasse.
PHASE 3 – DIE STEREOSUMME
Zur Stereosumme (auch Mix Bus genannt) gehört auch der Stereobus-Kompressor (sofern in Verwendung), sowie weitere Prozessoren/Plugins, von Equalizern bis zu subtiler Bandsättigung, usw. (was nicht das Thema dieses Artikels ist).
Man braucht sowohl am Eingang als auch beim Ausgang der Stereosumme ausreichend Headroom.
Man nehme eine Situation, wo der Mix im Grunde genommen schon sehr gut und ausgewogen klingt, beim Vergleich mit einigen Referenzen aber klar wird, dass noch einiges an Bass fehlt. Bass von der Art wie man ihn bei einer HiFi-Anlage mit dem “BASS”-Regler dazudreht.
Eigentlich keine komplizierte Angelegenheit – das Plugin der Wahl wäre wohl ein Linear Phase EQ mit einer sehr breitbandigen Anhebung der tiefen Frequenzen.
Das sieht dramatisch aus (+ 8dB bei 30Hz), ist es aber nicht, da es sich um einen Linear Phase EQ handelt, und die Anhebung sehr weit reicht. 100Hz sind relativ zu 400Hz nur 2dB mehr angehoben.
Dieser “eigentlich nicht so dramatische” EQ addiert allerdings brutale 8dB Pegel zur Stereosumme!
Bassanhebungen brauchen gaaaaaanz viel Headroom
Jedes Plugin in der Stereosumme hat Regelmöglichkeiten um Headroom zurückzubekommen – was ich meine, sind natürlich die “Input” und “Output”-Regler wie man sie bei den meisten Plugins und auch Outboard-Geräten findet. Jedes Plugin im Ein- oder Ausgang um 1dB zu reduzieren reicht oft schon aus, damit man ausreichend Luft hat, um radikale Mix-Entscheidungen treffen zu können.
Wenn alle Prozessoren in der Stereosumme am Start sind, und man am Ende noch 3dB Headroom hat, dann hast Du einen guten Job gemacht.
Mehr Headroom ist natürlich nie verkehrt, allerdings reden wir hier nur von ein paar wenigen dB Headroom, die ein Mastering Engineer braucht, um sein Ding zu machen. Angesichts 20 Jahre “Loudness War” (gemeint ist der Wettbewerb um das “lauteste” Master) ist heute jeder Mastering Engineer glücklich, wenn er einen Mix bekommt, der überhaupt noch Headroom übrig hat.
Bei unerwarteten und radikalen Mix-Entscheidungen allerdings sollten es schon eher -3 bis -5dB Headroom am Ausgang der Stereosumme sein.
MEHRERE STEREOSUMMEN
Wie Dir vielleicht schon aufgefallen ist, unterscheide ich ganz strikt in STEREOSUMME und MASTERSUMME (oder im Englischen Mix Bus und Master Bus).
Einer der Gründe dafür ist, daß es Mix Engineers gibt, die mit MEHREREN Stereosummen arbeiten.
Ohne hier ins Detail zu gehen, hier ist der New Yorker Engineer MIchael Brauer ein Vorreiter, der diese Technik auf SSL-Pulten mit mehreren Stereosummen entwickelt hat, wie z.B. dem SSL 6000E/G, 8000G und 9000J/K.
Hier ein einfaches Beispiel für eine Anwendung mit mehreren Stereosummen:
Dein Mix hat Punch, klingt wie aus einem Guss und einen schönen Bassbereich – Stereo-Buskompressor und EQ funktionieren hervorragend, ALLERDINGS… LEIDER NICHT AUF DEN LEAD VOCALS, die vom Buskompressor etwas zerquetscht werden.
In diesem Fall leitest Du die Lead Vocals sozusagen um die Haupt-Stereosumme herum und arbeitest mit einer zweiten, zusätzlichen Stereosumme. Die zweite Stereosumme (für die Lead Vocals) hat eine andere Plugin-Kette, eben was die Lead Vocals brauchen, und die Summe beider Stereosummen wird in der Mastersumme zusammengeführt.
Vorbildliches Gain Staging ist natürlich auch hier eine Vorraussetzung.
PHASE 4 – DIE MASTERSUMME
OK, hier kannst Du dann endlich Deinen Gesamtsound zerstören, um beim “Loudness War” ganz vorne mit dabei zu sein.
Äh, kleiner Scherz…
Während ich mische, habe ich immer einen Limiter auf der Mastersumme, mehr auch nicht.
Der Limiter reduziert vielleicht 0.5 dB, und damit komme ich in der Regel auf die Lautstärke, die ich brauche.
Wenn ich mehr Lautheit brauche, geht das z.B. über das reduzieren von Peaks bei den Individuellen Spuren, oder durch etwas mehr Kompression, Bandsättigung etc. auf der Stereosumme, aber NIEMALS über den finalen Limiter. Wobei verschiedene Limiter unterschiedlich starke Nebeneffekte auf das Signal haben. Die Spanne der brauchbaren Ergebnisse endet meiner Meinung nach bei ca. 3dB Limiting auf der Mastersumme.
Für das finale Mix-File nehme ich dann einfach den Limiter aus der Mastersumme, and erstelle eine 24bit WAV-Datei, die an den Mastering-Engineer geht.
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, welche Lautheit wir von unseren Mixen erwarten, können wir eine (nahezu) versteckte Funktion von iTunes verwenden.
1. Starte iTunes auf Deinem Rechner
2. Gehe zu Einstellungen … / Wiedergabe und schalte „Lautstärke anpassen“ ein.
3. Erstelle eine Wiedergabeliste mit Referenzsongs, die vergleichbar sind mit dem Song, an dem Du gerade arbeitest.
4. Über Ablage / Information (oder cmd + i auf der Tastatur) bekommst Du weitere Infos über einen Song in iTunes. Wähle den Datei-Tab aus und schaue dort nach dem Feld „Lautstärke“.
5. Vergleiche diese Werte mit dem Wert, den Dein Mix anzeigt in iTunes.
Wenn der Referenzsong bei – 7.4 dB liegt, und Dein eigener Song bei – 11.3 dB, dann bist Du ungefähr 4 dB zu laut – nur mal so als Beispiel (In diesem Fall hätte ich den Verdacht, daß Du es mit dem Limiter etwas übertreibst).
iTUNES „LAUTSTÄRKE ANPASSEN“ UND PEGEL BEIM MASTERING
• Wenn in der iTunes-Anwendung „Lautstärke anpassen“ eingeschaltet ist, werden die Pegel aller Songs von der Software so korrigiert, dass alle Songs eine ähnlich empfundene Lautstärke haben – was iTunes betrifft, ist der „Loudness War“ tatsächlich nicht mehr existent. Je lauter Dein Mix gemastert ist, desto mehr reduziert iTunes die Lautstärke.
• Der angezeigte Wert zeigt die Korrektur, welche die Software vornimmt – das heisst, 0 dB bedeutet „keine Korrektur“, – 10 dB würde heissen, daß die Lautstärke um 10 dB abgesenkt wird.
• Alle Apple-Geräte haben die Funktion „Lautstärke anpassen“ und sie ist ab Werk eingeschaltet. In der englischen App heisst die gleiche Funktion „Soundcheck“.
• Die Lautheit aktueller Produktion ist in 2015 nicht mehr so übertrieben wie es vor ein paar Jahren noch war.
BEISPIELE
Das Original-Master von „Billy Jean“ erfährt nahezu KEINE Lautstärke-Korrektur von iTunes.
Das Remaster vom gleichen Song für die Compilation „King of Pop“… oh shit, 8,5 dB lauter!!!
Ganz klar ein Opfer des „Loudness War“!
Die Transienten bei diesem Master sind bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht – ganz deutlich zu erkennen bei der Snare, die plötzlich einen viel zu lauten Raum/Hall-Anteil hat.
Hier der Beweis, dass selbst ein EDM-Hit nicht superlaut gemastert sein muss. Bei vielen EDM-Tracks habe ich Werte von – 10dB und mehr gesehen!
Auch Mainstream Radiohits müssen nicht übertrieben laut sein – hier ein Beispiel für einen wirklich dynamisches Master.
(Hier übrigens eine iTunes-Version in englischer Sprache)
Noch ein wirklich dynamischer Mainstream Nummer 1-Hit:
Das Thema ist natürlich nicht neu – der bekannte Mastering Engineer Bob Katz hat hervorragende Aufklärungsarbeit geleistet, was den „Loudness War“ betrifft, und seine „K-System“ dB-Skalen sind schon in einigen Plugins umgesetzt worden.
Die wichtigste Info zum Thema iTunes und „Lautstärke anpassen“ ist natürlich, dass ein Mix mit übertriebenem Limiting auf der Mastersumme von iTunes leiser abgespielt wird, und somit der Sinn des Limitings, einen lauteren Mix zu haben, den Zweck nicht mehr erfüllt.
Soviel zum Thema Gain Staging. Wem dieser Artikel gefallen hat, der sollte mal ins Inhaltsverzeichnis des Bestsellers YOUR MIX SUCKS reinschauen. Das eBook ist jetzt auch in deutscher Sprache erhältlich.